Der gaz 69

Automobiler Alltag mit dem GAZ 69

Kann man, oder kann man nicht? Mit dem Oldie im Alltag? Ein Bericht über automobile Askese und Selbsterfahrung. Askese. Wikipedia beschreibt das als Üben. Selbstschulung aus religiöser oder philosophischer Motivation zur Erlangung von Tugenden und Fähigkeiten. Im Falle des GAZ 69 im Alltag vor allem der Leidensfähigkeit des Fahrers. Die Geschichte beginnt, wie schon öfter, mit dem werkstattbedingten Ausfall des Alltagswagens. Gut, Inspektion und „kleinere“ Reparaturen sollten innerhalb von drei Tagen erledigt sein. In der Zeit nehme ich eben den GAZ. So der Plan. Daß drei Tage allerdings durchaus drei Wochen werden können, wußte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Der GAZ ist als solches ein Geländewagen im ganz klassischen Sinne. Starrachsen mit Blattfedern an Hebelstoßdämpfern. Es ist nur das an Bord, was unbedingt gebraucht wird. Eine Konstruktion der späten vierziger, frühen fünfziger Jahre, entwickelt und gebaut in der Sowjetunion. Die Serienfertigung begann 1953 in Gorki.

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Mein GAZ entspricht allerdings nicht mehr der Serienzustand. Der Vorbesitzer hat den originalen 2,4l Ottomotor gegen einen 2,3l Dieselmotor von Opel getauscht. Wobei der Motor recht gut zum Charakter des GAZ 69 paßt. Der Dieselmotor ist auch der Grund, daß die morgendliche Hektik nicht mehr stattfindet. Vorglühen. Langsam aufwachen. Per Startknopf erwacht der GAZ. Gefühlvolles Warmfahren. Das Dreiganggetriebe verlangt Zwischengas und Zwischenkuppeln, um den Schaltvorgang möglichst geräuschlos auszuführen. Fahrbahnunebenheiten, Schlaglöcher werden ungefiltert an die Insassen weitergegeben. Die Karosse erzittert, zuweilen trampelt die Hinterachse. Die servolose Lenkung erfordert einen festen Griff. Auch die Bedienung der Pedalerie fördert das Muskeltraining in den Beinen. Die straffe Brems-Wade ist garantiert. Doch die Einkreis-Trommelbremse verzögert den rund 1,5 t schweren Wagen ausgezeichnet. Das ist aber auch den modernen Reifen geschuldet, die ich für gelegentliche Geländeausritte aufgezogen habe.
Das Fahrgefühl hinter dem großen Lenkrad mit Aussicht auf die lange Motorhaube hoch oben ist äußerst angenehm. Beste Übersicht nach vorn. Zu den Seiten und nach hinten durch die kleinen Fenster im Verdeck jedoch ziemlich eingeschränkt. Aber man soll ja nach vorn blicken… Fahrtwind und die Unbilden des Wetters sind dem GAZ-Fahrer nicht nur vom Hörensagen bekannt. Die Seitenwindempfindlichkeit ist in Folge des recht hohen Aufbaus deutlich zu spüren. Die Steckfenster lassen auch den einen oder anderen Regentropfen ins Innere. Dafür ist es stets mollig warm, häufig auch richtig heiß. Die Heizungsregelung erfolgt über einen Hahn im Motorraum. Da man aber nicht dauernd anhält, um die Temperatur nachzuregeln, kann man auch der Einfachheit halber die Steckfenster abnehmen. Warme Füße und frische Luft um die Nase. Und stets ein Grinsen im Gesicht. Auch die passiven Verkehrsteilnehmer, hauptsächlich Kinder am Straßenrand, finden den GAZ immer wieder toll. Fröhliches Winken und Fingerzeigen. Man kann auf den Lippen ein „cool“ oder „Mama, gugg mal!“ ablesen. Ich wüßte nicht, wann mir das mal in meinem Alltagswagen passiert ist.
Natürlich bleibt auch die eine oder andere Panne nicht aus. Als erstes verabschiedet sich nach vier Tagen der Keilriemen zur Lichtmaschine. Dieser ist nach zwanzigminütiger Fummelei gewechselt. Am 7. Tage verabschiedet sich dann noch der Keilriemen des Lüfters, was durch eine schnell steigende Kühlwassertemperatur auffällt. Leider habe ich keinen Ersatzriemen dabei. Doch der Lichtmaschinenkeilriemen paßt auch. Naja, irgendwie. Der ist etwas zu lang, aber es reicht, um den Lüfter anzutreiben. Mit diesem Provisorium ist dann auch der Heimweg kein Problem. Nach drei Wochen im GAZ und knapp 1500km später ist die Leidensfähigkeit des Fahrers bzw. die Askese im Sinne von Schulung (hier: Eine asketische Schulung beinhaltet Disziplinierung sowohl hinsichtlich des Denkens und Wollens als auch hinsichtlich des Verhaltens) eigentlich nicht mehr der Rede wert. Ein Auto reduziert auf das, wofür es gebaut wurde. Die Insassen von A nach B – im Falle des GAZ auch über C nach Z, auch ohne Straßen – zu bringen. Der Spritverbrauch hat sich bei rund 8,7l Diesel eingepegelt. Im Vergleich zum Originalmotor richtig sparsam. Der Alltagswagen ist nunmehr wieder verfügbar, ich gönne dem GAZ die wohlverdiente Pause. Doch ehe ich einen Werkstattersatzwagen in Anspruch nehme… Nein! Ich fahr wieder GAZ.

Carsten Braun