VW Passat in der DDR

Großes Foto oben: Günter Poley

Volkswagen in der DDR: Der Genex-Passat

Eine Ausstellung zum Thema „West-Autos in der DDR“ im Museum für sächsische Fahrzeuge Chemnitz hatte mich Ende 2013 auf die Spuren der seltenen Exoten aus dem NSW (Nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet) geführt. Zwar waren mir die Importe der 10.000 VW Golf I in die DDR ebenso bekannt wie die Präsenz der Typen Mazda 323, Citroen GSA und Volvo 244 DLS, doch bisher hatten diese Fahrzeuge in meiner Wahrnehmung eher eine Randexistenz geführt. Das sollte sich ändern, denn der kleine Katalog des Chemnitzer Museums hatte ungeahnte Folgen. Noch im Hotelzimmer begann die Recherche, ob die gängigen Handelsplattformen wohl solche Fahrzeuge bereithielten. Besonders spannend dabei: Die Existenz von rund 14.000 Golf II in der DDR war mir bis dahin ebenso unbekannt wie der Import des VW Passat. Daß letzterer nur in weniger als 300 Exemplaren in die DDR gelangt waren, konnte ich damals noch nicht ahnen.

VW Passat: Der West-Ost-Westwagen

An jenem Abend fanden sich keine passenden Treffer, doch der Suchauftrag für die verschiedenen Modelle war schnell eingerichtet, schließlich gab es anhand rasch beschaffter Genex-Kataloge bald Anhaltspunkte, welche Modelle überhaupt importiert worden waren. Ein halbes Jahr später dann der Ernstfall: Der Kleinanzeigenmarkt eines großen Internetauktionshauses bot einen VW Passat CL in Stufenheckversion in der passenden Farbe Gambiarot und mit der passenden Motorisierung, dem legendären 5-Zylinder-Triebwerk. Der einzige Haken daran: Das Auto stand in Hessen und die Anzeige bot keinerlei Hinweise auf eine DDR-Vergangenheit des Fahrzeuges. Doch eines der Fotos ließ mich aufmerken, denn ein DIN-Kennzeichen mit dem Buchstaben L ließ auf eine frühe Leipziger Zulassung schließen. Also schrieb ich den Verkäufer an und fragte nach Details. Die Antwort übertraf meine kühnsten Erwartungen, denn er bestätigte mir, daß er den Passat im Auftrage seines über achtzigjährigen Vaters verkaufe, der den Wagen als Erstbesitzer über Genex in der DDR bekommen habe. Das Kennzeichen sei allerdings tatsächlich eine Nummer aus dem Lahn-Dill-Kreis, der bis 1991 den Buchstaben L führte und diesen dann an Leipzig abtreten mußte. Sein Vater sei aber Ende 1989 mit dem Wagen aus der DDR ausgereist und habe diesen dann im Westen angemeldet.
Daß ich mich wenige Tage später mit einer roten Nummer auf den Weg nach Hessen machte, dürfte sich jedem Leser erschließen. Neben einer gedeckten Kaffeetafel, Bildern aus dem Familienalbum und vielen Unterlagen (so etwa dem Lieferschein, den DDR-Steuerunterlagen und dem Serviceheft) erwartete mich an diesem Tag auch ein bestens aufgelegter alter Herr, der trotz aller Sentimentalität von seinem Leben als Kunsthistoriker in der DDR berichtete und die unglaubliche Geschichte seines Wagens erzählen konnte, die wir auch in 79OKTAN, Heft 1/2019 ausführlich geschildert haben.
Wehmütig sahen die beiden betagten Herrschaften am Ende des Tages ihrem Passat nach, der sie nicht nur in der DDR begleitet und Anfang Dezember 1989 in ein neues Leben gebracht hatte. Auch auf vielen Urlaubsreisen an die Sehnsuchtsorte der beiden Kunstliebhaber in Italien war er nach ihrer Übersiedlung das bevorzugte Transportmittel. Nun hatte dieses Stück Geschichte in mir einen neuen Besitzer und sollte in der Folge nicht nur zu einer wachsenden Sammlung westlicher Fahrzeuge mit DDR-Geschichte führen. Auch umfangreiche Recherchen und das Buch „West-Autos in der DDR“ (erschienen bei 79OKTAN) waren die Folge dieses Autokaufs. Am 10. Dezember 2014 ist der Erstbesitzer meines Passat verstorben. Seine Autofahrerhandschuhe aber liegen bis heute in der Seitentasche der Fahrertür.

Björn Herrmann