Die Entdeckung: Wartburg Sondercoupés für DDR-Politiker
Im
harten Dauereinsatz
Wer in den 1990er Jahren ein gebrauchtes Wartburg-311-Coupé zum Kauf angeboten
bekam, der stand oft vor der Herausforderung, die Spuren eines langen
Autolebens und die unterschiedlichsten Personalisierungen und vermeintlichen
„Verschönerungen“ der vielen DDR-Nutzer zu korrigieren. Durch den Mangel an
Neuwagen, den daraus resultierenden Wartezeiten und die hohen
Gebrauchtwagenpreise wurden viele PKW länger genutzt als ursprünglich
konstruktiv geplant. Bei privaten Reparaturen ging es meistens nicht um
Originalität, sondern um Funktionalität. So manches heute gesuchte und teuer
gehandelte Ausstattungsdetail wurde in der DDR gegen vermeintlich „modernere“
Teile ausgetauscht.
Pflegeintensive Chromteile wurden gegen schwarz lackierte ersetzt. Das elfenbeinfarbige Lenkrad mit Hupenring machte Platz für das griffige und sportliche PUR-Lenkrad. Der zierliche nierenförmige Außenspiegel aus verchromtem Blech musste oft einem großen Plastespiegel weichen und für die Befestigung wurden sogar Löcher in das dicke Blech des „311ers“ gebohrt. Andere Löcher, an denen original mit kleinen Drahtfedern formschöne Zierleisten befestigt waren, wurden bei der Neulackierung zugespachtelt. Die häufig angebrachten „Rallye-Streifen“ waren zwar sehr individuell, aber nur selten gestalterisch ausgewogen. Blieb das Fahrzeug beim Eigentümer, wurden die Originalteile teilweise aufgehoben und konnten später im Keller oder in der Garage (wieder-) entdeckt werden. Nur die wenigsten Wagen durften im Originalzustand überleben. Wie viele der betagten Gebrauchtwagen auf den Straßen der DDR Ende der 1980er Jahre aussahen, haben wir im 79Oktan-Heft 4-2019 dokumentiert.
Angebot
eines „Bonzen-Coupés“ – der Dienstwagen von Erich Apel
Zurück zum Wartburg-311-Coupé: Mitte der 1990er Jahre bekam der Oldtimerfreund
Dirk Schlander über einen Bekannten ein „DDR-Bonzen-Coupé“ angeboten. Der
Vermittler berichtete über einen prominenten Vorbesitzer, Herrn Dr. Erich Apel,
der im noch vorhandenen originalen KFZ-Brief als Erstbesitzer vermerkt war.
Recherchen ergaben, wer dieser war. Bis zu seinem Freitod im Dezember 1965
leitete er die Staatliche Plankommission der DDR. Der gelernte Werkzeugmacher
und Schlosser aus dem thüringischen Föritztal hatte ein bewegte Kariere hinter
sich, sowohl im Dritten Reich als auch in der DDR.
Als Ingenieur im Führungsstab des Raketentechnikers Wernher von Braun ebenso wie auch als stellvertretender Minister für Schwermaschinenbau, als Leiter der Wirtschaftskommission sowie als Vorsitzender der Staatlichen Plankommission. Apel war der geistige Vater des „Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung“ (NÖSPL), einem Versuch zur Einführung eines sozialistischen Leistungs- und Anreizsystems. Nach erfolglosen Verhandlungen zum Wirtschaftsabkommen der DDR mit der UdSSR wählte der erst 48 Jahre alte Politiker den Freitod. Vergeblich hatte er versucht, mehr Erdöl in die DDR zu importieren, um ein weiteres DDR-Wirtschaftswachstum zu ermöglichen.
Einmal
komplett bitte!
Die Restaurierung des Wartburgs erwies sich als umfangreich, aber möglich. Doch
ohne die sehr sorgfältig ausgeführten Individualisierungen und den prominenten
Vorbesitzer hätte das Coupé wahrscheinlich nicht überlebt und wäre auf dem
Schrottplatz gelandet. Recherchen ergaben, dass weitere Wartburg-Coupés für
DDR-Politiker entstanden sind. Parallel zum Wagen für Erich Apel wurde ein
weiteres Coupé für den DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl gebaut. Auch
dieser Wagen überlebte und befindet sich heute ebenfalls in Sammlerhand im
weitgehend vollständigen und sogar unrestaurierten Zustand. Die spannende
Entstehungsgeschichte und die Hintergründe der Sonder-Coupés lesen Sie exklusiv
im 79Oktan-Heft 4-2023.