JAWA 350 Californian

Unser Fotograf Günter Poley ist meistens mit PKW beschäftigt und freute sich, zur Abwechslung bei unserer ersten Zweirad-Geschichte mitwirken zu können. Und hierbei auch einmal eine tschechische JAWA im Detail kennen-lernen zu können, sei für ihn besonders reizvoll. Als gründlicher Fotograf ließ er sich von uns nicht nur die Motivwünsche nennen, sondern stellte auch die Frage, warum 79oktan gerade diese JAWA interessiert. Für Günter und alle, die die große JAWA-Fahrzeugpalette nicht so genau kennen, geben wir gerne hier preis, daß für uns die „Californian“, die in den USA auch gern als „Roadster-362“ bezeichnet wird, die schönste Motorrad-Komposition der Konstrukteure aus Týnec nad Sázavou ist.

Deshalb kamen wir bei einem sommerlichen Oldtimer-Treffen mit Achim, dem Fahrer unserer schönen 350er, ins Gespräch. Der gebürtige Ascherslebener war schon immer von JAWA-Motorrädern begeistert, denn in seinen „wilden Zeiten“, in denen Motorräder ohnehin noch ein Luxusgut darstellten, waren sie für ihn die optimalen „Chancenoptimierer“. Und weil es die 350er Californian als West-Export-Modell in der DDR nicht gab und weil in seiner renovierten Garage neben dem 250er-Velorex-Gespann noch ein Platz frei war und weil das in Holland angebotene Exemplar günstig war und weil er das Fahrgefühl des mit 25,5 PS kernig motorisierten Zweizylinder-Zweitakters unbedingt erfahren wollte, wurde die 362-00 nach Genehmigung durch die Gattin kurzerhand im August 2015 in Holland erworben. Natürlich nicht in gutem Zustand.

Was aber unseren Achim keineswegs am Kauf hinderte, sondern für ihn die ideale Basis für seinen Traum von der (auch technisch schönsten) Californian war. Unsere Fotos aus dem September 2016 im wendlendischen Suhlingen belegen, daß Achim als erfahrener Restaurierer zum „Blitz-Optimierer“ seiner 362-00 (Modellausführung 1969) aus dem Baujahr 1970 wurde. Seine guten Kontakte halfen dabei, auch Engpaß-Teile (Ja, so was gibt es wieder!) zu bekommen. Heiße Grüße sendet Achim daher u.a. an den Galvaniseur Spielvogel und den Motorspezialisten Böhme (beide aus Leipzig). Böhme, mit dem Achim schon lange immer mal wieder einige „Motor-Bauarbeiten“ betreibt, ist vermutlich nicht ganz unbeteiligt daran, daß Achims 350er vielleicht ein oder zwei PS über dem Soll besitzt. Manches, wie die neu hergerichtete Sitzbank, die Achims Gattin in der zweifarbigen Ausführung etwas „schwuchtelig“ findet, uns aber stimmig erscheint, gab es nur für gute Worte. Den bei den USA-Modellen verbauten Bosch-Scheinwerfer einschließlich PAL-Tacho und das, ebenfalls dem US-Modell folgend, montierte Lucas-Rücklicht konnte Achim nur mit einigem Geldaufwand sowie zusätzlichen guten Bitt-Worten erwerben. Interessant ist, daß es am Tacho schon damals farbig leuchtende Anzeigen für den Leerlauf und für die Ladekontrolle gab.

Auch der Batteriekasten und der Kettenkasten sind als Originalteile gesuchter „Goldstaub“. Und den Zusammenhang zwischen Kettenkasten und Motor erklärt Achim uns so: Läßt man die Vergasernadel in einer zu mageren Einstellung, läuft die 350er glatte 120 km/h, neigt aber dann zu Kolbenklemmern, die im schlimmsten Fall auch zu einem Kettenriß führen können. Der untere Kettenunterkasten „zerlegt“ sich dann leider gleich mit. Daher fährt Achim lieber entspannte 100 km/h in der fetteren Stufe des verbauten Jikov-Vergasers. Dieses Bauteil bringt uns auch zu einer gleich daneben gelegenen Besonderheit der „Californian“. Das Motorrad wurde für die West-Auslieferungen mit einer komfortablen, da automatischen, Öl-Dosiereinrichtung versehen, die über eine vierfach-gebohrte Nadel im Vergaser je nach Motorbelastung das Gemisch variabel bildet. Der 2,5Liter-Öltank ermöglicht eine Reichweite von ca. 2500 km, bei der der Fahrer wie bei einem Viertakter nur Benzin dazu tanken und nicht selbst das Gemisch herstellen muß. Auffällig und ebenfalls sinnvoll im Hinblick auf gute Fahreigenschaften ist die Mixbereifung mit feingliedrigem Asphaltprofil am Vorderrad und dem leichtstolligen Hinterrad analog zur Originalauslieferung.

Die ab dem Typ 354 verbaute Kickstarter-/Fußschalter-Kombination sowie die überaus gelungene halbautomatische Kupplung ermöglichen dem Fahrer auch bei unserer Californian ein entspannteres Fahren. Sowohl das Anfahren, das Anhalten und auch der Gangwechsel sind ohne Kuppeln möglich. Und weil die JAWA bei Gangwechseln auch immer nur ein Zahnrad schaltet, ist ein sehr leichtes Schalten möglich. Dieses und andere kleine Details, wie z.B. die am Sattel angebrachte Lederschürze, die den Übergang zum Fahrzeugunterteil optisch strafft, bezeugen eine technische Meisterleistung der tschechischen Konstrukteure. Selbst eine hochwertige Luftpumpe, die uns Achim natürlich in einer verchromten Version präsentiert, fehlt der JAWA natürlich nicht.   

Es gelang Achim bei der Zulassung, das „Kuchenblech“ zu vermeiden. Der TÜV akzeptierte und dekretierte, daß der Abstand zwischen Lucas-Rücklicht und Katzenauge die Größe des nunmehr hübsch kleinen Kennzeichens bestimmen muß. Wie beim Original. Der TÜV nahm dankend die Zusatzgebühr von 59 Euro allein für die Größenfestlegung entgegen und Achim und wir freuen uns über die vermiedene Verunstaltung.

Die Maschine steht im Bestzustand vor uns und nur Kenner wissen, das Achims Motorrad eine liebevoll und dezent am Original orientierte Individual-Version ist. Alle Schrauben, die Kettenspanner, die Fußrasten, die Lenkerbefestigung und auch die nicht sichtbaren Funktionsteile (z. B. Steckachsen), insgesamt ca. 350 Teile, wurden verchromt verbaut. Wir meinen tiefenentspannt, daß es heute erlaubt sein darf, z.B. mit der nicht im Original gegebenen Verchromung der Lenkerbefestigung, sich als notorischer JAWA-Liebhaber zu outen, oder?

Und so fahren wir mit großem Spaß im Wendland, welches uns mit seinen weiten Landschaftsebenen, mit den alten Asphaltstraßen und den alten Strommasten irgendwie an das Central Valley in Californian erinnert, mit ungemein sympathisch-zweitacktend-zweizylindrigem Jawa-Sound dem Horizont entgegen.

Text: Dr. Rolf Mahlke  

 

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